Trost und Traurigkeit

„Wein‘ doch nicht“, hört man mitunter, oder: „Das wird schon wieder!“ Ich könnte dann weglaufen. Eigentlich tun mir dann sogar beide leid: Der, der gerade traurig ist – und der andere, der offenbar nicht besser damit umzugehen weiß. Aber: So geht es nicht. Ein guter Umgang mit Trauer ist schwierig, aber wichtig.

 

Trauer, Leid – und erst recht der Tod – sind aus unserem Leben weitgehend verdrängt. Und das ist schlimm.

 
Falscher Umgang

 

Es ist verständlich, dass wir trösten wollen, wenn jemand traurig ist. Aber das geht nicht so, dass wir ein „Trostpflaster“ verpassen, einen Bonbon geben oder ein Bilderbuch, um Tränen wegzuwischen: Der falsche Umgang damit fängt schon in der Kindheit an. Auf solche Weise wird Trauer verdrängt, nicht ausgehalten; sie kann nicht rauskommen. Dieser falsche Umgang ist wie ein Pflaster, das über eine Wunde geklebt wird, die darunter nicht ausheilen kann: Sie droht, sich zu entzünden, weiter zu schwelen und üble Folgen zu entwickeln.

Tränen müssen rausgeweint werden: nach außen. Denn nach innen geweinte Tränen drohen Steine im Bauch zu werden: physische, medizinische Probleme – oder Mauern seelischer Art. Zum Thema Trost haben auch Kirchen viel Unheilvolles beigetragen: Die Negierung von Leid und die Vertröstung allein aufs Jenseits sind mit Marx als „Opium für das Volk“ zu bezeichnen – leider. „Denen, die Gott lieben, / muss auch ihr Betrüben / lauter Freude sein“: Solche Kirchenlieder gehören gestrichen. Die Psychologie spricht von „ekklesiogenen Neurosen“, von „kirchengemachten“ Krankheiten: sehr zu Recht.

 

Nötig: Das Leid annehmen

 

Was ist angemessen? Zunächst: Traurigkeit nicht zukleistern, sondern sich immer wieder klarmachen, dass es Leid gibt und dass Traurigkeit dann sein muss. Daher gilt es, diese Traurigkeit als berechtigt anzuerkennen. Und sich dann neben den oder die Trauernde(n) setzen. Im besten Sinne: solidarisieren. Erstmal schweigen. Zuhören. Mit-trauern, vielleicht auch mit-weinen. Dazu hat man selten Lust; und es ist anstrengend. Aber es ist der einzig richtige Umgang damit. 

 

Für Wirtschaft und öffentliches Leben

 

Nicht Traurigkeit ist die eigentliche Bedrohung gelingenden Lebens; es sind Betrübnis und Bedrängnis. Und die machen wir nur schlimmer, wenn wir sie nicht ernst nehmen, indem wir sie wegzutrösten versuchen. Die Kraft zur Trauer hat der Mensch meist. Falscher Trost jedoch droht in die Depression zu drängen.


Dies alles ist wichtig für Wirtschaft und öffentliches Leben. Denn falscher Umgang mit Trauer und Trost macht Menschen nur kurzfristig fit, ihren sonstigen Aufgaben nachzukommen – langfristig droht er Menschen krank zu machen. Wirtschaft und öffentliches Leben tun daher gut daran, den richtigen Umgang mit Traurigkeit und Trost immer wieder zu üben. In erster Linie heißt das: Den Betroffenen Zeit und Raum zu geben, sich diesen anderen Aufgaben, die das Leben mit sich bringt, zu stellen. Diese Aufgaben kommen vielleicht ungelegen. Das ist jedoch nicht zu ändern.

 

 

Hermann A. Richter